"MATHIS DER MALER" - 3. Dezember 2010 (Erstaufführung)

Hindemiths "Mathis" gehört zu den Opern, die ich seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe. Man sollte dieses Meisterwerk der Oper des 20. Jahrhunderts viel öfter erleben können, schon um die Substanz dieses Werks besser kennen lernen zu können. Nach wie vor scheint Hindemith ein "Verfemter" oder - wie Goebbels ihn nannte - ein "musikalischer Bolschewik" zu sein. Vor 60 Jahren hieß es: "Hindemith, her damit, weg damit!", Das scheint ihm noch immer nach zu hängen. Dabei konnte man gerade in Deutschland nach dem Krieg den Komponisten öfters erleben, als Dirigenten, Klavier-Begleiter oder Bratschisten.

Nach der sicher besten Initiative der Ära Mortier, "Cardillac" zur Erstaufführung zu bringen, hat nun auch "Mathis" den Weg in die Bastille-Oper gefunden. Nicolas Joél, der Direktor der Pariser Oper, hatte das Werk seit Jahren im Sinn und hat nun endlich einen seiner Wunschträume realisiert. Ja, endlich, denn die Oper wurde zwar bereits 1951 in Straßburg gespielt, aber in Frankreich seither nicht mehr. Die gesehene Vorstellung war die vorletzte der Erstaufführung folgenden Serie an der Pariser Oper. Hoffentlich nicht für ein Jahrzehnt!

"Mathis der Maler" ist das Kern-Stück dreier Opern, die Hindemiths Überlegungen, Ängste und Sorgen über die gesellschaftliche Rolle des Künstlers und Intellektuellen in der Polis Platons darlegt. In "Cardillac" (UA 1926) ist es ein Goldschmied, der sich von seinen Werken nicht trennen kann und seine Kunden ermordet. In seiner letzten Oper "Die Harmonie der Welt" (UA 1957, München) ist der Astronom Kepler die zentrale Figur, der sich an der kirchlichen und kaiserlichen Autorität reibt.

Die Person des Mathis ist der Künstler schlechthin, der gegen seinen Willen in den Bauern-Krieg und den damit verbundenen Horror verwickelt wird. Obwohl er sich den aufrührerischen Bauern anschließt, zieht er sich vor dem allgemeinen Ausschreitungen zurück und malt den "Isenheimer Altar" - das wohl größte und bedeutendste Meisterwerk der deutschen Renaissance (im Musée d'Unterlinden in Colmar zu sehen). Es ist Mathis' Gönner und Beschützer, der Mainzer Kardinal Albrecht von Brandenburg, der als Paulus im letzten Bild Mathis erscheint und ihn ermahnt "Du bist zum Bilden übermenschlich begabt. [...] Geh hin und bilde!" Es ist wichtig zu bemerken, daß Hindemith selbst das Textbuch verfaßt hat, in einer der schwierigsten Zeiten seines Lebens, als er nicht Liebkind im "Dritten Reich" war. All diese Ängste und Befürchtungen sind in "Mathis" vereint, die Hindemith in einer schwierigen, bilderreichen Sprache wiedergibt. Musikalisch ist Hindemith nach den Werken seiner "wilden Jahre" von 1920 mehr tonal geworden, was er in den zahlreichen Ensembles ausdrückt und oft sehr den Text unterstreicht, aber auch chorale Züge zeigt. Ein äußerst schwieriges, prachtvolles Werk.

Zum Glück hatte Hindemith in Wilhelm Furtwängler einen einflußreichen Freund, der vor der Unmöglichkeit einer szenischen Aufführung, der Hindemith bewog eine "Mathis-Symphonie" zu schreiben, die er 1934 mit den Berliner Philharmonikern uraufführte. Furtwängler verteidigte auch öffentlich den Komponisten gegen die Anfeindungen in einem ungewöhnlich scharfen Artikel in der Presse. Was nicht hinderte, daß die szenische Uraufführung erst 1938, aber "in einem neutralem Land" in Zürich stattfand.

Es ist nicht uninteressant, daß die Renaissance einige der bedeutendsten Opern des 20. Jahrhunderts inspiriert hat. Man muß vor allem an Pfitzners "Palestrina", Kreneks "Karl V." und Strauss' "Friedenstag" denken, aber auch an K. A. Hartmanns "Simplicius Simplicissimus", der auch im deutschen Bauernkrieg spielt. Nicht zu vergessen die beiden Opern "Francesca da Rimini" von Zandonai (die demnächst in der Bastille geplant ist) und Rachmaninoff oder Brittens "Rape of Lucretia".

"Mathis der Maler" ist wahrlich kein leichtes Werk und gehört mit Wagners "Parsifal" und Pfitzners "Palestrina" zu den religiösen oder philosophischen Opern. Wie diese beiden enigmatischen Werke zweier anderer mühsamer Zeitgenossen, ist "Mathis" überaus anspruchsvoll. Allein die Länge der Oper (fast vier Stunden Musik) und die drei sehr schweren Hauptrollen, sowie mehrere nicht weniger schwierige Nebenrollen, machen die Aufführung ein Wagnis. Nicht zu vergessen ist die szenische und schwierige orchestrale Seite des Werks. Man ist versucht, diese drei Werke als Vorläufer des "Saint François" von Messiaen zu sehen. Ein weiterer Vergleich drängt sich mit "Meistersinger" auf, denn selten ist der deutsche Hintergrund eines Werks so unterstrichen worden. Der Mainzer Kardinal Albrecht läßt sich sogar zu einem Traumbild hinreißen, mit Mainz als dem "deutschen Rom" im Zentrum!

Nicolas Joël hat für "Mathis" eine Team aufgeboten, das der schwierigen Aufgabe gewachsen war. Daß der Regisseur Olivier PY für diese Inszenierung gewonnen wurde, war sicher ein Vorteil (nur wenige Regisseure haben auch Theologie studiert!). Der workaholic Py hat sich mit dem Werk und Hindemiths Leben offenbar intensiv auseinander gesetzt und auch die persönlichen Probleme des Komponisten eingeflochten. Die Bühnenbilder (und Kostüme), teils gigantisch, teils intim, von Pierre-André WEITZ waren großteils passend, sehr eindrucksvoll und weitgehend die ganze gigantische Maschinerie der Bastille-Oper. Sehr eindrucksvoll war das 4. Bild, daß den Bauernkrieg und die Plünderung des Schlosses von Königshofen beschreibt: Ruinen der Schloßwände werden über die Bühne gerollt, was die vorbeiziehenden Heere sehr gut imitiert. Die zwei kleinen Panzer bei der Bücherverbrennung und die Anwesenheit von zwei SS-Männern mit Stahlhelm waren allerdings nicht nötig. Die wirklich dabei waren, waren sicher in schwarzer Uniform, aber trugen eine schwarze Kappe mit dem Totenkopf drauf. Nicht ganz klar war auch, weshalb die aus der Versenkung oder aus dem Hintergrund kommenden, optisch sehr eindrucksvollen großen Estraden oft so gebaut waren, daß die Sänger darunter gebückt durchkriechen mußten. Dem Dramaturgen Joseph HANIMANN hätte da etwas Besseres einfallen können. Dafür war die Beleuchtung von Bertrand KILLY durchwegs hervorragend, wenngleich bisweilen etwas dunkel, aber der Situation entsprechend.

Die musikalische Seite war in jeder Beziehung vorbildlich. Christoph ESCHENBACH, mehrere Jahre lang Chefdirigent des Orchestre de Paris, stand zum ersten Mal im Graben der Pariser Oper. Er hat offenbar eine intensive Beziehung zu Hindemith und zu "Mathis". Er wußte auch das ORCHESTRE DE L'OPÉRA NATIONAL DE PARIS de Paris für diese schwierige, bisweilen karge, Musik zu begeistern und ungewöhnliche Klangeffekte heraus zu holen. Der CHOR DER OPÉRA NATIONAL DE PARIS war von Patrick Marie AUBERT fabelhaft einstudiert worden. Vor allem die Konfrontierung der Katholiken und Lutheraner im 2. Bild, jede Gruppe in einer mehrstöckigen Turm-Konstruktion, mit den humanistischen Studenten dazwischen, war von beängstigender Dichte.

Als Mathis wurde Matthias GOERNE gewonnen, der mit seiner langen Erfahrung als Lieder-Sänger sicher die ideale Verkörperung ist. Seine vorzüglich Aussprache und seine ungewöhnlich ausdrucksvolle Stimme gaben der Tragik der Rolle eine metaphysische Verklärung. Grossartig! Etwas enttäuschend war dafür der Mainzer Kardinal, Albrecht von Brandenburg, den Scott MACALLISTER zwar sehr gut sang und überzeugend gestaltete, doch man verstand ihn leider sehr schlecht. Schade! Die dritte Hauptrolle ist Ursula Riedinger, die von Melanie DIENER stimmlich hervorragend und sehr innig gesungen und dargestellt wurde. Ihr Glaube an Luthers Thesen stellte sie kraftvoll in der Szene mit Kardinal Albrecht dar. Aber auch die Trauer um die sterbende Regina im letzten Bild wußte sie erschütternd zu vermitteln.

Die Comprimari waren durchwegs bestens besetzt, denn bereits Regina, die Tochter Schwalbs, der Mathis sich annimmt, beeindruckte: Martina WELSCHENBACH sang nicht nur ausgezeichnet, sondern spielte auch die jugendliche, tragische, aber so wichtige Rolle sehr überzeugend. Ein weiterer Sänger ließ aufhorchen, der Schwede Michael WEINIUS, der Schwalb, den Führer der aufständischen Bauern, mit strahlendem Heldentenor und perfekter Diktion darstellte. Wolfgang ABLINGER-SPERRHACKE stellte den politischen Berater des Kardinals und intellektuellen Drahtzieher Capito mit großer Intelligenz auf die Bühne. In der Szene mit dem Kardinal waren die Stimmen der beiden Sänger so ähnlich, daß man oft nicht wußte, welcher sang.

Gregory REINHART war ebenfalls sehr passend als Ursulas Vater, der Mainzer Bürger Riedinger, ebenso wie Éric HUCHET als Sylvester von Schaumburg. Als Gräfin von Helfenstein, die von den aufrührerischen Bauern vergewaltigt wird, war Nadine WEISSMANN treffend, nobel, aber nicht hysterisch. Thorsten GRÜMBEL (Lorenz von Pommersfelden) und Antoine GARCIN (Truchsess von Waldburg) komplettierten die Besetzung rollendeckend.

Das ausverkaufte Haus feierte diese Neuigkeit an der Bastille Oper mit triumphalem, selten erlebtem Applaus. Ein ganz großes Ereignis! wig.