"ANDREA CHENIER " - 12. Juni 2003

Da der Verismus in Frankreich sehr vernachlässigt wird und praktisch ausgestorben zu sein scheint, ist der aus Paris kommende Opernfreund natürlich nicht böse auch etwas italienisches „Schmalz“ zu hören. Zwar ist Giordanos großteils deklamatorischer Stil mit Puccinis lyrischen Höhenflügen nicht wirklich vergleichbar, aber bei „Andrea Chénier“ muß man doch oft an „Tosca“ denken, und für Johnsons große Arie in „Fanciulla del West“ hat sich Puccini das Hauptmotiv des letzten Liebesduetts aus „Andrea Chénier“ geholt.

Die bereits mehrere Jahre alte Inszenierung von Otto SCHENK ist bereits bei der 79. Aufführung. Wenn Regie von Musik und Handlung geleitet wird, bleibt eine solche Produktion trotz der Jahre völlig überzeugend und packend. Das zeigt halt, daß eine lockere und „klassische“ Regiearbeit eine Wiederaufnahme unbeschadet übersteht. Zumal die schönen und passenden Bühnenbilder von Rolf GLITTENBERG nicht verkommen und die Kostüme von Milena CANONERO eine Augenweide sind.

Dafür war das Dirigat Adam FISCHERs kein Ohrenschmaus. Er hat dramatische Spannung mit Klamauk und Orchesterkrach verwechselt. Bisweilen gingen selbst die großen Chorensembles in den Wogen des ORCHESTERs unter, von den – hochkarätigen – Solisten ganz zu schweigen. Subtilität, rubati oder italianità fehlten völlig. Ein bißchen Schmalz schadet dieser Musik aber schon gar nicht! Gibt es keinen passenden italienischen Dirigenten in Wien? Dafür war die Einstudierung des CHORs durch Ernst DUNSHIRN vorbildlich.

Der Abend war mit ausgezeichneten Sängern besetzt. Als Andrea Chénier war Nicola MARTINUCCI hörbar indisponiert (schon im „Improviso“ des 1. Akts bemerkbar). Er besitzt aber genügend Reserven und konnte so einige prächtige Töne zur großen Freude des Publikums zu Gehör bringen, wie das fulminante „Si, fu soldato“ der Gerichtsszene. Violeta URMANA als Maddalena de Coigny war in prächtiger Form. Obwohl ihre immer voller werdende Stimme mehr und mehr ins hochdramatische Sopranfach tendiert, beeinträchtigt das aber nicht die Flüssigkeit der Kantilene. „La mamma morta“ war von ganz außergewöhnlicher Ausdruckskraft.

Als Gérard stand Lado ATANELI der Bühne. Er spielte den idealistischen, intelligenten Revoluzzer, der mit Schrecken sieht, wie die Revolution ihre Kinder frißt, mit großer Überzeugung und stimmlich absolut magistral. Sein Prachtbariton dominierte Chor und – bisweilen - sogar das Orchester. Umwerfend! Herwig PECORARO stach als zynischer „Incroyable“ mit seinem gut geführten Tenor unter den Comprimari hervor. Weiters war Boaz DANIEL ein sehr besorgter, stimmkräftiger Roucher, Margareta HINTERMEIER war überzeugend als alte Gräfin Coigny, Mihaela UNGUREANU eine erschütternde Madelon, Elina GARANCA eine liebenswerte Bersi.

Hans Peter Kammerer (Fléville), Alfred SRAMEK (Mathieu), Peter JELOSITS (Abbé), Peter KÖVES (Haushofmeister und Dumas) rundeten die gute Besetzung ab.

Sehr viel Applaus und Blumen für die drei Hauptdarsteller. wig.