E SOGNO O REALTA?

Völlig von den Gepflogenheiten abweichend sei zu Beginn ein kleiner Bericht gesetzt.

Ein Traum oder doch Wirklichkeit? So könnte man vielleicht das bezeichnen, was sich auf der Staatsopernbühne nach einem fast gelungenen Abend ereignete, was sich Leo NUCCI vielleicht dachte, als die Kollegen ihm auf offener Bühne applaudierten.

Doch es war Wirklichkeit, denn Leo Nucci, bereits Kammersänger, erhielt an diesem Abend die Urkunde zur Ehrenmitgliedschaft No. 45 der Wiener Staatsoper überreicht. Als Novum kam noch hinzu, daß ein Wiener Juwelier zum ersten Mal auch einen Ring zu dieser Ehrung spendete. Angeblich ein Prachtstück, für das Publikum aber als solches nicht zu erkennen, da zu klein!

Leo Nucci ließ die lange Rede von Direktor Holender und die kürzere Rede von unserem Kunststaatsekretär und neuerdings auch Freund unseres Operndirektors mit Würde über sich ergehen. Sichtlich gerührt über das viele Lob sprach er einige berührende Worte des Dankes an Wien, an das Wiener Publikum, an das Haus, die Leute, die hier arbeiten, die ihm immer wieder das Gefühl geben, zu Hause und unter Freunden zu sein.

Leo Nucci, der auf eine sehr lange Karriere zurückblicken kann und der nunmehr fast auf den Tag genau vor 25 Jahren an der Staatsoper debütierte, ist sicher würdig für diese Auszeichnung. Er hatte in den Jahren in 15 Opern mitgewirkt, dabei 17 Rollen interpretiert und damit das Wiener Publikum ebenso begeistert, wie jene Zuhörer an den vielen anderen großen Bühnen der Welt, an denen Leo Nucci aufgetreten ist.

In „I Pagliacci“ begann Leo NUCCI als Tonio mit einem respektablen Prolog, wenn es auch in den Höhen ein bißchen rauh klang. Seine Darstellung des liebenden Krüppels und des verschmähten und haßerfüllter Intriganten war sehr ergreifend. Krassimira STOYANOVA ist eine bemühte Nedda , aber an meine Idealvorstellung kam sie weder gesanglich noch von der Interpretation heran.

Gänzlich enttäuschend jedoch der Canio des Abends, Gabriel SADÉ, dem allerdings ein guter Ruf voran ging. Schon bei seinem Auftritt und der Präsentation des Spektakels fehlte es ihm an Strahlkraft in der Höhe, und seine große Arie verpuffte vollends in Gleichgültigkeit und ließ uns Provinzbühnenluft schnuppern. Markus NIEMINEN als Silvio und Herwig PECCORARO als Beppe brachten für die Rollen beste stimmliche Voraussetzungen und gaben den Figuren auch die richtigen Konturen.

Zu erwähnen ist auch, daß die alte Inszenierung von Jean Pierre PONNELLE noch immer voll funktionsfähig ist und nichts von ihrem Charme verloren hat.

„Gianni Schicchi“, der zweite Teil des Abends, bildete als Komödie natürlich einen ziemlichen Gegensatz zum ersten Teil. Eine höchst seltene Kombination, die es an der Staatsoper 1925 bereits gegeben hatte, dann aber nicht wieder. „Gianni Schicchi“ ist ja nicht eine Oper mit vielen Solonummern, sondern ein Ensemblewerk., so ist es sehr schwer, einzelne Künstler des Ensembles hervorzuheben, dennoch drei Interpreten stehen doch im Mittelpunkt.

Zum einen ist dies Gianni Schicchi alias Leo Nucci, er schafft die Wandlung von der einen zur anderen Rolle spielerisch, und es ist eine Freude diesem Spiel zu folgen. Ildiko RAIMONDI, seine Tochter Lauretta, ist ein höchst liebliches Wesen und einwandfreie Interpretin der Arie „O mio babbino caro“. Ihr angebeteter Rinuccio Cosmin IFRIM hatte mit dem sehr hoch angelegten Loblied auf Florenz keinerlei Probleme, aber ganz an seinen prominenten Vorgänger reichte er nicht heran. Alle anderen Interpreten, Stützen des Hauses, trugen ebenso zum Gelingen des Abends bei, wie die drei einzeln genannten Sänger.

Die Inszenierung von Marco Arturo MARELLI ist trotz des modernen „Kleides“ durchaus schlüssig, nur an die unförmigen Kostüme der ganzen erbschleichenden Verwandtschaft werde ich mich wohl nie gewöhnen.

Beide Aufführungen wurden von Ralf WEIKERT sehr solide geführt; es gab guten Einklang zwischen Bühne und Orchestergaben. Vielleicht hätte es bei dem ersten Teil ein bißchen mehr an musikalischer Dramatik geben können.

Wäre der erste Teil des Abends ebenso perfekt gewesen wie der zweite, hätte man zweifelsohne von einem gelungenen Jubiläumsabend sprechen können. EH