„DON CARLOS “- 31. Oktober 2004

Erstaufführung der Urfassung, welche von Verdi für Paris komponiert wurde, aber noch nie in dieser Version zur Aufführung gelangte, da Verdi Streichungen und Kürzungen vornehmen mußte um den Wünschen der Direktion (und des Publikums) zu entsprechen.

Dieser französischen Fassung ging aufgrund des Regisseurs einerseits, aber eben auch dieser „Uraufführung“ andererseits viel Wirbel voraus und spaltete Musik- und Verdi-Liebhaber in zwei Lager. Und auch ich bin in mir selbst gespalten. Ich bin in der italienischen, vieraktigen Version so verankert, daß sich mein Ohr nicht mit der französischen Version anfreunden kann (vielleicht auch nicht will?). Andererseits wollte ich diesem „neuen“ Verdi auch nicht verschließen, und man konnte durchaus ein paar neue, interessante Momente entdecken, die Geschichte selbst ist vielleicht etwas mehr offen gelegt.

Nun denn, es wird sich weisen, welche der Versionen sich mehr durchsetzen wird. Allerdings ist es bislang keiner der anderen französischen, verkürzten Versionen gelungen, sich zu behaupten, und so dürfte auch dieser Version kein bedingungsloser Sieg beschieden sein, sondern bestenfalls friedliche Koexistenz.

Wie gesagt, es gab schon im Vorfeld der Premiere genügend Berichte, vor allem wegen der Inszenierung von Peter KONWITSCHNY und seiner Assistenz. Angekündigte Revolutionen finden ja bekanntlich meist nicht statt. So auch hier. Würde man die beiden Szenen des Anstoßes eliminieren, könnte man sogar von einer gelungenen Regie sprechen, denn im Gegensatz seiner Hamburger Inszenierung dürfte Konwitschny in der Personenführung, vor allem was die Rolle des Don Carlos selbst betraf, positive Veränderungen eingebaut haben. Nur leider gibt es aber jene zwei Steine des Anstoßes. Zur Ballettmusik (Urversion) gab es eine, „die“ Pantomime „Ebolis Traum“. Löst man dies aus dem Geschehen heraus, kann man sich über die Spielfreude und das Animo der Sänger sehr erfreuen, und es amüsant finden. Aber dem ist nicht so, und man bleibt verstört und verärgert.

Wenn wir uns rühmen, eine Uraufführung eines Verdi-Werkes zu präsentieren, dann sollte man sich der Mühe unterziehen, wirklich Ballett zur Ballettmusik zu bringen. Mancherorts behauptete man, daß die Ballett-Musik sei von Verdi schwach komponiert, weil er das nicht wollte. Dann allerdings erhebt sich die andere Frage, wieso führt man es doch auf? Also viele unbeantwortete Fragen. Für mich in der gegenständlichen Form sicher entbehrlich.

Aber noch weit mehr nervend als der Traum war die Realität des Autodafés. Völlig entfremdet in die heutige Zeit versetzt. Das wäre allenfalls auch noch akzeptabel gewesen, aber die Durchführung über den Zuschauerraum war schlichtweg eine Katastrophe. Die Pause war durch die ständigen Durchsagen gestört, die Zuschauer irritiert, sollten sie ihre Plätze einnehmen oder nicht? Dann ist es endlich so weit , Philipp und Gefolge betreten durch den Zuschauerraum auf einer Brücke über den Orchestergraben die Bühne und feiern. Das Haus bleibt voll erleuchtet, es werden von der Galerie Flugblätter abgeworfen. Es herrscht absolute Unruhe, die Musik und die Sänger sind kaum zu hören. Die Geschichte bleibt auf der Strecke, weder die flandrischen Deputierten noch die Auseinandersetzung Vater/Sohn werden präsent. Der Akt verpufft in einer absurden Regieidee. Es hätte eine Herausforderung sein soll, es war aber lediglich Ärgernis pur.

Anschließend geht es normal weiter, wenn es auch gewisse kleinere szenische und musikalische Unterschiede zur der bislang weitaus bekannteren italienischen Version gibt.

Das Bühnenbild (von Johannes LEIACKER) ist spartanisch bis kahl, weiß, nicht sehr originell, es gibt dies aber den Sängern mehr Möglichkeit schauspielerisch frei zu agieren, allerdings sind die sehr niedrigen Türen für den Zu– und Abgang hinderlich und ergeben keinen erkennbaren Sinn. Die Kostüme durchaus ansprechend.

Das Sängerteam war insgesamt auf gutem Niveau, wenn es doch gewisse Abstufungen gab. Sehr gut waren die beiden weiblichen Interpretinnen Iano TAMAR als Elisabeth und Nadja MICHAEL als Eboli. Beide hatten im gleichen Maße ausgezeichnete stimmliche Voraussetzungen und darstellerisches Engagements. Iano Tamar war seit langem eine Elisabeth, die weder zu Beginn noch gegen Schluß stimmliche Mängel zeigte. Nadja Michael war nicht eine wuchtig auftrumpfend, dramatische Eboli, sondern zeigte ein neues, sanfteres, ja inniges Bild der Prinzessin. Das empfand ich als eine Bereicherung.

Bei den männlichen Kollegen ist das Niveau nicht ganz so einheitlich. Ramon VARGAS verläßt immer mehr sein leichtes Rollenfach, beweist aber auch jetzt bei Verdi durchaus Qualität. Für mich ist aber noch zu lyrisch und wird sich erst in einigen Jahren zum idealen Carlos entwickeln. Bo SKOVHUS als Marquis Posa kämpft fallweise mit der Tiefe in der Rolle, aber seine Rollengestaltung und der eingebrachte Schöngesang konnten begeistern. Ob die Rolle so seiner Stimme à la longue zuträglich ist, wage ich zu bezweifeln.

Eine Leistung die Achtung abringt: Alastair MILES als Philipp. Echte Begeisterung konnte er aber nicht hervorrufen. Dazu ist Alastair Miles ein viel zu kontrollierter Sänger. Dies steht aber einem Philipp am wenigsten an. In keiner der Rollen, in welchen ich ihn bislang erlebte, waren große Emotionen zu spüren. Der Großinquisitor von Simon YANG und der Mönch von Dan Paul DIMITRESCU setzen ihre kraftvollen Stimmen gut ein und verliehen den Rollen Charakter.

Am Dirigentenpult stand der Franzose Bertrand de BILLY und zeigte, daß er sich sehr intensiv mit dieser Urversion auseinandergesetzt hat, und versuchte seine Erkenntnis über den Orchestergraben an das Publikum zu übertragen. Das gelang auch dort, wo es von der Optik keine Störungen gab. Sein Dirigat war sehr engagiert, und er erreichte mit dem ORCHESTER einen hohen Grad an Präzision.

Es gab bei diesem Werk genügend schöne Momente, so daß ich diese Erfahrung zwar nicht missen möchte, aber wie stark ich mich in Zukunft weiter damit auseinandersetzen werde, wird auch stark von den Sängern abhängen, die in diese Produktion später einmal einsteigen werden. Nicht, daß ich Bertrand die Billy in irgendeiner Form negativ gegenüber stehe, aber mir wäre weitaus lieber gewesen, einige französische Sänger auf der Bühne statt eines französischen Dirigenten im Orchestergraben zu haben. Vielleicht wäre überhaupt das Ideale eine Besetzung, deren Muttersprache französisch ist, damit ein allseits harmonischer Klang entsteht.

Was nach diesem Abend nicht ausbleiben konnte, waren noch immer Buhrufe für die Inszenierung und ein höchst unterschiedlicher Applauspegel bei den Sängern. EH