„MANON LESCAUT“ - 13. und 27. Juni 2005

Die Inszenierung von Robert CARSEN hat bereits im Vorfeld wieder einmal „Voraufregung“ produziert. Die Handlung wurde in das Jahr 2005 gelegt. Die ersten beiden Akte sind einigermaßen glaubwürdig. Akt 3 und 4 verlieren aber mehr und mehr an Linie.

Der 1. Akt findet in einem Shoppingcenter mit angegliedertem Hotel in der Provinz. Es herrscht Trubel, und es ist eigentlich verwunderlich, daß sich Des Grieux ausgerechnet in diese graue Maus Manon verliebt, wo doch schicke Girls herumlaufen. 2. Akt, Suite von Geronte in Paris: Manon hat sich an Luxus gewöhnt, Manon schwelgt im Luxus, genießt. Als Des Grieux erscheint, schmilzt sie dahin, doch auf den Luxus verzichten will sie nicht und läßt für die Flucht alles und jedes einpacken. Kein Wunder also, daß Geronte eingreift und die Polizei ruft.

Akt 3 präsentiert uns ein Défilé an gestrandeten, verurteilten Mädchen kurz vor der Deportation ebenfalls in einem Shopping Center, dann gab es die Flucht der beiden Liebenden. Akt 4 in eben dem Shoppingcenter in der Nacht, leer, ungeputzt. Manon dürstet, weil sie angeblich in der Wüste ist. Des Grieux soll nach Wasser Ausschau halten. Ergebnislos.

Obwohl es in unserer Zeit vermutlich keinen Vater mehr gibt, der seine Tochter ins Kloster schicken kann, ist man noch geneigt daran zu glauben und hinwegzusehen. Daß man im 3. Akt lauter chic gekleidete Damen als Verurteilte findet, zwar mit Lippenstift verschmierten Gesichtern, ist schon seltsam, aber daß man in einem Shoppingcenter kein Wasser findet, das kann man niemanden glaubhaft machen.. Es gibt überall Wasserbehälter, es gibt Lokale, in die man notfalls einbrechen kann, und man kann per Handy Hilfe rufen.. Also daß man da verdurstet, da braucht man schon ganz andere Fallen.

Neil SHICOFF als Des Grieux, ein ewiger Student? Soll es auch geben. Herr Shicoff ist schlank, beweglich, und doch wirkt seine Darstellung steif, und stimmlich ist er auch kein jugendlicher Stürmer. Er versprüht keinen jugendlichen Elan. Er bewältigt die Rolle stimmlich natürlich voll, er ist ja ein guter Techniker, aber es fehlt ihm der Schmelz, mit dem die lyrischen Tenöre sonst auftrumpfen (ich denke da an Di Stefano, Björling, Gedda). So begab es sich auch, daß keine der beiden Arien im ersten Akt mit Applaus bedacht wurde. Irgendwie wirkte Shicoff in der Rolle und auf der großen Bühne verloren.

Mit Barbara HAVEMANN steht ihm eine Manon mit wenig einschmeichelnder Stimmer zur Seite, sie hat Schärfen in den Höhen, und das ist nicht immer angebracht und angenehm. Ein junges schüchternes Ding war bei ihr in der Darstellung nicht so gut aufgehoben, das Luxusgeschöpf darzustellen, gelang schon eher.

Die Nebenrollen hingegen waren vortrefflich besetzt, sowohl vom Typ her als auch von der Stimme. So war Wolfgang BANKL ein kalter, berechnender Geronte, der stimmlich die richtigen Akzente setzen konnte. Der Bruder Lescaut wurde von Boaz DANIEL nicht nur gut gespielt , sondern es wurde wieder klar, daß junge Sänger bei langsamem Aufbau großartige Leistungen bringen. Und der Dritte im Bunde, der Student Edmondo, von Saimir PIRGU gesungen, zeigte wieder, daß er sein sehr schönes, gut geführtes Stimmaterial bestens einsetzen kann.

Beim Dirigat von Seiji OZAWA gefiel mir lediglich das Zwischenspiel, den anderen Teil der Oper gestaltete er, die Dramatik ausbreitend, für die Sänger zu monumental und deckte sie zu.

Ein zweiter Besuch der Neuinszenierung nach so kurzer Zeit und in gleicher Besetzung hat mich noch mehr in meinen Eindrücken bestärkt. Der dritte und vierte Akt sind vom Konzept her schwach. Es genügt nicht, den optischen Kreis zu schließen, es muß sich der Kreis in der Glaubwürdigkeit schließen bzw. beweisen.

Die beiden Hauptdarsteller konnten mich auch nicht besser stimmen, hingegen ist mir die gute Arbeit bei CHOR und den Nebenrollen noch mehr aufgefallen.

Es kann durchaus interessant sein, der Aufführung noch einmal in einer gänzlich anderen Besetzung beizuwohnen, aber generell betrachtet, ist diese „Manon Lescaut“ nicht die Inszenierung und Besetzung, die mir das Werk so zeigt, daß ich ein Aha-Erlebnis für die nächsten Jahrzehnte mitnehme. EH