„DIE TOTE STADT" - 26. April 2003

In der Kirche des Gewesenen, in der Paul seiner verstorbenen Frau Marie gedenkt, ist alles, einschließlich des Bettes, in schützende Folie eingehüllt (Bühne: Rolf GLITTENBERG). Nichts darf sich hier verändern, auch die Trauer nicht. Als Pauls Freund Frank zu Besuch kommt ist er also zurecht besorgt und verabreicht (er ist wohl Arzt?) Paul erst einmal eine Spritze und diverse Tabletten, damit der auf andere Gedanken kommt. Das hätte es freilich nicht bedurft, da Paul ja bereits die Tänzerin Marietta erblickt und eingeladen hat, die durch ihre frappierende Ähnlichkeit mit der Toten, Paul aus seiner leidenden Trauer gerissen hat. Marietta taucht auf, wie man es von einer Tänzerin, allerdings kaum einer, die in einer Meyerbeer-Oper tanzt, erwarten würde: blonde billige Perücke, rote Handschuhe, Sonnenbrille und Plüsch-Leopardenmantel (Kostüme: Marianne GLITTENBERG). Das macht Sinn bei einer Lebedame, aber sah die über alles geliebte Marie wirklich auch so aus? Die blonde Perücke hinter Glas läßt das vermuten. Und was weiß man schon von Marie?

Regisseur Sven-Eric BECHTOLF gibt uns zumindest einen Grund, warum der Tod seiner Frau Paul besonders schwer getroffen hat. Denn als die Erscheinung Maries sichtbar wird, liegt diese mit aufgeschnittenen Pulsadern in einer Badewanne und hält Paul während Mariettas erotischem Tanz mit blutigem Arm fest. Dies wäre ein starkes Bild, wenn der Tanz nicht eine unreflektierte Männerphantasie in Form einer sich rekelnden fast nackten Tabledancerin (Megan LAEHN) wäre. Aber von einem Regisseur, der selbst Julia mit entblößtem Oberkörper auf den berühmten Veroneser Balkon stellt, ist in diesem Punkt kaum etwas anderes zu erwarten.

Pauls mörderischer Traum des zweiten und dritten Aktes spielt in einem Schwimmbad ähnlich gefließten Raum, durch den sich hinten sehr atmosphärisch ein Wassergraben zieht. Wasser für die tote Stadt Brügge und Wasser für Pauls reinigendes Martyrium. Und passend zu Mariettas eher zwielichtigem Outfit, besteht ihre Theatertruppe denn auch aus einer Gruppe zwischen in schwarzem Leder gekleideten SMs und den Skurrilitäten eines viktorianischen Jahrmarktes.

So muß Olaf BÄR als Pierrot mit Stöckelschuhen, Korsage und Schmetterlingsflügeln seine wundervolle Arie „Mein Sehnen, mein Wähnen“ anstimmen. Er meistert dies, wie auch seine Rolle als Freund Frank mit absoluter Bravour. Überhaupt sind die Sänger das große Plus dieser Aufführung.

Denn auch, wenn Norbert SCHMITTBERG bei seiner enorm schweren Partie als Paul immer wieder an seine stimmlichen Grenzen stößt, so ist er insgesamt sängerisch und vor allem auch darstellerisch mit seinem wirren Äußeren und seinem Wahn sehr überzeugend. Emily MAGEE ist ihm hier als Marie/Marietta eine ebenbürtige, vielleicht ein wenig zu wenig verführerische Partnerin, und Cornelia KALLISCH füllt die Haushälterin Brigitta mit altjüngferlicher Zurückhaltung aber Loyalität aus.

Franz WELSER-MÖST ist den Sängern ein umsichtiger Begleiter und läßt Korngolds Musik sehr fein und präzise erklingen, mit der vom Komponisten geforderten dramatischen Knappheit. Manchmal wünschte man sich allerdings mehr von der strahlenden Wucht und Leidenschaft, die die Musik zweifelsohne auch besitzt.

Korngold wollte seine Oper ursprünglich „Der Triumph des Lebens“ nennen und Paul, nachdem er aus seinem Traum erwacht ist, von vorsichtig hoffnungsvoller Musik begleitet in ein neues Leben schicken. Dies kann Bechtolf nicht ungebrochen stehen lassen und läßt Paul bei seinem Weg aus dem Haus heimlich den Unterrock Maries mitnehmen. Dieser Wahn ist noch lange nicht zuende. Kerstin Schröder