„Faust“ - 12. Dezember 2004

Nach längerer Abwesenheit vom Spielplan gelangte Gounods „Faust“ zur Wiederaufnahme. Kaum zu glauben, daß die Inszenierung von Götz FRIEDRICH 1997 noch Wellen warf, weil in der Eingangsszene ein Fax auf der Bühne stand und Marguerite als Putzfrau auftritt.

Mit sehr viel Liebe zum Detail wurde diese Wiederaufnahme von Claudia BLERSCH einstudiert, und man muß ihr wirklich ein Kränzchen winden: Die Massenszenen z.B. waren hervorragend ausgearbeitet, und die ganze Inszenierung wirkte frisch und lebendig. Friedrich inszenierte den „Faust“ sozusagen als modernes Märchen, mit sehr viel bissiger, aber dezenter Ironie. Das Bühnenbild ist ästhetisch, mit der Drehbühne wird ein fließender Szenenwechsel erlaubt. Die Personenführung ist stringent und durchdacht, was zu berührenden Augenblicken führt.

Unter dem Dirigat von Patrick FOURNILLIER waren – bis auf Oliver WIDMER als Valentin – lauter Sänger am Werk, die in dieser Produktion noch nicht aufgetreten sind. Für Elena MOSUC (Marguerite) und Jonas KAUFMANN (Faust) waren dies gar Rollendebüts.

Fournilliers Dirigat war mir öfters etwas gar laut, aber den französisch schwungvollen Klang konnte man sehr gut ausmachen. Zügig trieb er das ORCHESTER voran, was zwar bei einigen Szenen mit dem wieder gut disponierten CHOR DER ZÜRCHER OPER zu Wacklern führte, die Spannung aber gut aufbaute. Den lyrischen Passagen ließ er genug Raum zum Atmen, so daß diese zum Teil sehr berückend ausfielen. In der Gesamtheit eine mehr als nur annehmbare Leistung.

Carlo COLOMBARA verfügt über eine satte, gute geführte, dunkle Baßstimme, die leider für mich meist Schöngesang und wenig berührende Momente vermittelt. Der Mephistophélès schien ihm aber viel Spaß zu bereiten, und ich halte diese Rolle für seine bisher beste, auch wenn mir das Dämonische etwas fehlte. Er verkörpert einen schön anzusehenden, distinguierten, ironischen Bonvivant, der auch das Schmeichelnde, Sinnliche vermitteln konnte.

Über den Faust von Jonas Kaufmann kann ich nur ins Schwärmen kommen! Sein Tamino am Anfang seiner „Zürcher Karriere“ ließ mich schon aufhorchen; zwischenzeitlich allerdings beschlichen mich Befürchtungen hinsichtlich der Entwicklung seiner Stimme. Im Frühjahr hinterließ er mir jedoch als Florestan auch stimmlich einen hervorragenden Eindruck und zerstreute meine Bedenken weitestgehend. Der Faust bestätigte diese Einschätzung nachhaltig. Endlich ein Tenor, der es auch wagt, piano zu singen, die Stimme zurückzunehmen, der aber auch im Forte alles ausspielen kann. Gegenüber einem Giuseppe Sabbatini oder gar Alfredo Kraus gefällt mir diese Art, den Faust zu singen, um einiges besser, da die Stimme mehr Körper besitzt. Die beiden vorher genannten Sänger verfüg(t)en für mich über eine zu weiße Stimme, was mich bei aller technischen Perfektion immer etwas störte. Kaufmann besitzt einen baritonalen, kernigen, aber eben auch lyrischen Tenor, der sämtliche Schattierungen zulässt. Zudem sieht er gut aus und bringt auch darstellerisch alles mit, was man sich nur wünschen kann. „Salut, demeure chaste et pure“ habe ich selten so berührend gesungen gehört!

Auch Elena Mosucs Interpretation der Marguerite war grandios. Ihre Stimme deckt ebenfalls das ganze Spektrum ab: glockenhelle, technisch perfekte Koloraturen, weiche, betörende, lyrische Farben und die nötige Durchsetzungskraft in den dramatischen Passagen. Sie vermittelt das unbescholtene junge Mädchen, das sich Hals über Kopf verliebt, genau so glaubhaft wie die verzweifelte junge Frau. Eine eindrückliche Leistung dieser Sängerin, die bisher vor allem im Belcanto-Fach zuhause war. Oliver Widmers Leistung als Valentin war nicht so zufrieden stellend wie die seiner Kollegen. Solange Widmer seine Stimme strömen läßt, vermag sie mich durchaus für ihn einzunehmen. Leider forciert er aber zu häufig, was zu einem unschönen Vibrato und zu einem „Knödeln“ führt.

Für die Rolle des Siébel war Judith Schmid vorgesehen. Leider erkrankte sie so kurzfristig, dass „nur“ noch Liliana NIKITEANU einspringen konnte, die vom Blatt sang, während Claudia Blersch die Partie mimte. Allerdings war es in meinen Augen eine ihrer besseren Leistungen in der letzten Zeit. Die Stimme strömte in Wohlklang und Wärme und es war ein Vergnügen, ihr zuzusehen, wie sie den Part gestaltete.

Katharina PEETZ als Marthe kam nicht an die Darstellung von Nadine Asher in der Premierenserie heran, vermochte der Rolle nicht wirklich Konturen zu geben. Auch stimmlich empfinde ich sie im französischen Fach nicht ganz an der richtigen Stelle.

Aber alles in allem ein sehr vergnüglicher, berührender, emotionaler Nachmittag mit herausragenden Sängerpersönlichkeiten. Das Publikum bedankte sich mit dem entsprechenden Jubel und Applaus. Chantal Steiner