„ZAIDE“ - 31. Januar 2005

Kann man ein Werk, dessen Libretto verschollen ist, das keine Ouvertüre, keine Dialoge und kein Ende besitzt, aufführen? Man kann, wie im Opernhaus am Montag zu sehen und hören war.

Nikolaus HARNONCOURT, bekannt für seine unermüdliche Forscherarbeit, wagte das Unterfangen und brachte mit seinem CONCENTUS MUSICUS Mozarts Fragment „Zaide (Das Serail)“ konzertant zur Aufführung. Anstelle der Ouvertüre wurde die Sinfonie Es-Dur KV 184 aus dem Jahre 1773 vorangestellt. „Zaide“ wurde 1779/1780 komponiert. Aus den wenigen Passagen im Briefwechsel Mozarts mit seinem Vater geht hervor, daß er mit dem Text des Librettisten Johann Andreas Schachtner wohl nicht zufrieden war. Weil ihm dann zudem noch das Libretto der „Entführung“ angetragen wurde, wird sich Mozart wohl gedacht haben, daß zwei ähnliche Handlungen nicht aufführbar sind. Warum allerdings die ganzen Dialoge unauffindbar sind, bleibt wohl für immer ein Rätsel.

Die Handlung erinnert stark an die „Entführung“, wenn auch der Sultan Soliman (zumindest in dem verfügbaren Material) keine Wendung zum Weisen vollzieht, sondern Rache schwört und unbeugsam bleibt.

Daß Harnoncourts Unterfangen gelang, verdankt er nicht zuletzt dem Schauspieler Tobias MORETTI, in Zusammenarbeit mit Veronika ZIMMERMANN. Moretti, der für die Textkonzeption und –fassung verantwortlich zeichnet, fungiert als Sprecher und übernimmt so – in Ermangelung der Dialoge – die Rolle des erläuternden Bindegliedes zwischen den einzelnen Musikstücken, die jedoch wie aus einem Guß wirken. Er agiert erfreulicherweise unprätentiös, aber mit großer Bühnenpräsenz, und seine Texte sind ironisch, bisweilen satyrisch, manchmal „politisch unkorrekt“, bissig, einfühlsam, berührend. Sie verleiten zum Schmunzeln, Lachen wie auch zum Nachdenken. Eine reife Leistung! Erfreulicherweise ließ auch er das Ende offen, so daß jede(r) weiter rätseln konnte...

Den Eingangschor sang der Concentus Musicus gleich selbst (wie Moretti schmunzelnd mitteilte, um einen „eigentlichen“ Chor einzusparen). Er spielte überzeugend auf, der Streicherklang ist von hervorragender Qualität und die Musiker folgen dem feurigen Diktat von Harnoncourt mit Hingabe. Auch die leisen Passagen wurden auf den alten Instrumenten vorbildlich zur Geltung gebracht.

Michael SCHADE (Gomatz) tritt mit einem so genannten „Melolog“ auf. Es mutet seltsam und ungewohnt an, daß ein Tenor seine erste Arie sprechend absolviert… Schade ist ein anerkannter Mozart-Sänger, der sichtlich Freude an der Rolle hatte und der sängerisch keine Wünsche offen ließ. Eva MEI (Zaide) verfügt über eine eher kleine, in der Höhe etwas enge Stimme, vermag mich aber immer wieder durch ihre Zerbrechlichkeit zu bezaubern. Für die dramatischeren Passagen fehlt ihr allerdings das stimmliche Durchsetzungsvermögen.

Matthias GOERNEs Stimme (Allazim) ist etwas gewöhnungsbedürftig; er verfügt aber über eine erstaunlich profunde untere Lage und kann aus dem Vollen schöpfen. Die Stimmfarbe ist etwas eindimensional, allerdings sind Diktion und Stimmführung perfekt. Herbert LIPPERT (Soliman), kurzfristig für den erkrankten Rudolf Schasching eingesprungen, überzeugte stimmlich wie darstellerisch als emotionaler Sultan. Anton SCHARINGERs Kurzauftritt als Osmin (auch den gibt’s hier!) mit der sogenannten „Lacharie“ wurde zum großen Erfolg. Er trumpfte großartig auf, und die Drohgebärden zwischen ihm und Harnoncourt waren köstlich.

Ein wirklich spannender Abend und eine Neuentdeckung, die sich lohnt. Das Publikum bedankte sich mit frenetischem Applaus. Hoffentlich denkt jemand daran, diese Aufführung auf CD dem Publikum zugänglich zu machen. Chantal Steiner