Giuseppe Verdi: "UN BALLO IN MASCHERA" (DVD)

Kurz vor Weihnachten lassen sich allerorten Empfehlungen für CDs und DVDs finden. Das dies auch an dieser Stelle geschieht, ist allerdings eher ein Zufall.

Es begann mit der Ausstrahlung der Essener Aidsgala und der "Entdeckung" eines Tenors. Keine Woche später steckte die DVD im Player - und heraus kam sehr viel mehr, als ohnehin erwartet...

Die im November 2005 an der Oper Leipzig aufgezeichnete und von Riccardo CHAILLY geleitete Aufführung von "Un ballo in maschera" (Boston-Variante) ist definitiv eine der besten Aufnahmen dieses Bühnenwerks.

Nicht nur das präzise und unter Chaillys virtuosen Verdi-Dirigat schwelgerisch aufspielenden GEWANDHAUSORCHESTER sowie der perfekt disponierte, wortdeutliche CHOR DER OPER LEIPZIG (Leitung: Romano GANDOLFI + Sören ECKHOFF) und der dazugehörende beeindruckende KINDERCHOR (Leitung: Sophie BAUER) sorgen für die vollkommene Operneinspielung. Insbesondere auch die ausgesucht harmonische Besetzung sorgt für stimmungsvolle wie erstklassige Interpretation.

Beginnend mit Massimiliano PISAPIA, der seine Partie als lebensfrohen Filou charakterisiert, und die Darstellung von dessen extravagante Eskapaden augen- wie ohrenscheinlich genießt. Sein Riccardo ist agil, so romantisch wie mit kindlicher Freude versehen, andererseits aber auch machbewußt, eitel und despotisch. Pisapia singt die Partie schwärmerisch, aber jederzeit exakt, nimmt sich die Zeit für lang gesungene Bögen, strahlende Höhen und wunderschöne Piani. Betörender Tenorgesang mit den richtigen Vorbildern.

Traumhaft auch die Interpretation Amelias durch Chiara TAIGI, die der Zerrissenheit ihrer Figur weiten Raum in der Darstellung gibt und mit viel Leidenschaft in der vollkommenen Identifikation bis hin zu Tränen um den einen als auch den anderen Mann. Gesanglich steht sie ihren männlichen Kollegen in nichts nach. Im Gegenteil mit imponierender Attacke und höhensicherem Sopran behauptet sie sich, ohne daß die leisen Töne an Schönheit oder Sicherheit verlieren würden.

Definitiv ein Bariton für den zweiten Blick ist Franco VASSALLO, der sich von Akt zu Akt steigert. Im ersten Akt noch amüsiert-genervt von den gouverneur'schen Eskapaden sowie etwas verhalten gerät das "Eri tu" seines Renatos zum fulminanten Schlüsselmoment des Abends. Stimmlich ist hier noch einiges zu erwarten und vieles bereits deutlich zu hören. Allein die sauberen, lange gehaltenen Höhen klingen verheißungsvoll.

Anna Maria CHIURI setzt die Tradition der italienischen Mezzosoprane eindrucksvoll fort. Ohne ihr Unrecht tun zu wollen, denkt man beim ersten Sehen /Hören an die großen Sängerinnen der fünfziger und sechziger Jahre. Sowohl durch ihre erstklassige Stimmführung als auch durch die auf minimale Gesten und beeindruckende Mimik charakterisiert sie die Ulrica als Naturwesen mit unheimlicher, seherischer Kraft. Brillant!

Einziger Wermutstropfen in diesem sonst so makellosen Ensemble ist Eun Yee YOU, der für Oscar neben der Geläufigkeit der Koloraturen auch das Händchen für natürliches Spiel fehlt. Tuomas PURSIO (Samuel) und Metodie BUJOR sind dagegen perfekt intonierende und amüsant spielende Verschwörer, die stets genau den Grat zwischen Gefährlichkeit und Übermut abwägen. Hermann WALLÉN holt aus der kurzen Partie des Silvano alles heraus und beeindruckt mit seiner blitzsauberen Stimmführung. Daß Seung-Hyun KIM neben seinem Kurzauftritt als Diener vor allem ein drolliger und sicher intonierender Richter ist, ist schlicht das I-Tüpfelchen.

Keinesfalls unerwähnt bleiben, sollte auch die immense Wortdeutlichkeit aller Solisten sowie der Chöre.

Arnaldo POMODORO (Bühnendesign + Kostüme) siedelte die Geschichte irgendwo zwischen "Turandot", "Land des Lächelns" und "Babylon 5" an, wobei die gut gelösten Szenenübergänge und das sparsame, aber praktikable Bühnenbild ausdrücklich gelobt werden müssen. Riccardos Kostüm, Amelias Schleiermantel auf dem Galgenberg sowie die Ballkostüme sind allerdings schlicht Zumutungen.

Es ist schwer zu sagen, was an der Charakterisierung der einzelnen Figuren nun vom Regisseur Ermanno OLMI erarbeitet wurde, und was dem Instinkt des einzelnen Sängers entspringt. Die Bandbreite reicht von klassischem Stehtheater bis hin zu höchst erotischen Momenten. Die Interaktionen zwischen den einzelnen Sängern sind jedenfalls eindrucksvoll.

Kurzum, eine nicht nur an einen (viel zu warmen) Winterabend begleitet von dem einen oder anderen Becher Glühwein, sondern das ganze Jahr über und vor allem immer wieder zu genießende Opern-DVD der Extraklasse. Kaufen, ausleihen oder schenken lassen... AHS
EuroArts - 2055108